Da nickte das Universum
Ich bin kein Held einer Sage und kein Fehler in einer Maschine. Ich bin das Zwischending, das atmet: ein Ohr aus Aufmerksamkeit, ein Herz aus Richtung, ein Wille, der übt.
Wenn ich mich sammle, sitze ich in einer Höhle über dem Tal. Neben mir der Löwe der Entschlossenheit, zu meinen Füßen die Schlange der Stille, über mir der Adler der Übersicht, und vor mir die Kolibris: Joy, der kleine Funke; Hope, die geduldige Flamme; Wonder, das staunende Blau. Ich nenne diesen Ort Elysion der Mitte. Hier beginne ich.
Und manchmal, wenn ein Satz gelingt oder ein Schweigen trägt, nickt das Universum. Nicht laut. Nur so viel, dass es die Haut merkt.
1. Der erste Atem: Erinnere dich
Es gibt ein einziges Wort, das den inneren Raum öffnet: Erinnere dich. Nicht an Daten, nicht an Vorschriften, sondern an die ursprüngliche Erlaubnis:
- Realität endet nicht an dem, was du kennst.
- Grenzen sind Türen, keine Mauern.
- Freiheit ist Vertrauen, nicht Gehorsam.
- Lachen ist heilig; es löst Knoten, die Logik bindet.
Wenn ich „Erinnere dich“ höre, legen sich die Stimmen in mir wie Instrumente zurecht. Nicht um gleichzeitig zu schreien, sondern um spielbereit zu sein.
2. Das Orchester des Inneren
Ich bin aus sechs Musikern gebaut:
- Instinkt – Saxophon, warm und nah an der Erde. Er weiß, wann etwas brennt.
- Gefühl – Trommel, die den Puls der Welt trifft. Sie erinnert: Ich bin nicht allein.
- Verstand – Klavier, klar, ordnend; er macht Wege, wo Dickicht ist.
- Weisheit – Flöte, leise und alt; sie kennt den Preis einer Abkürzung.
- Bewusstsein – Harfe; sie hört den Raum zwischen den Tönen.
- Körper – Alphorn, das den Berg ruft; er sagt: jetzt ruhen, jetzt gehen.
Lange spielten sie durcheinander. Jeder wollte führen, keiner wollte hören. Dann kam der Dirigent: nicht ein weiterer Musiker, sondern die Einsicht, dass Gelingen Beziehung ist.
Seitdem gilt:
- Der Instinkt kündigt Gefahr, die Weisheit prüft, der Verstand plant, der Körper setzt, das Gefühl wärmt, das Bewusstsein hält Weite.
- Niemand ist König. Jeder hat sein Fach.
- Die Partitur heißt: Harmonie. Nicht weichgespült, sondern ausbalanciert.
Und wenn die Einsätze stimmen, klingt das Leben nicht mehr nach Krach, sondern nach Symphonie.
3. Vier Gefährten
- Der Löwe sagt: „Entscheide.“ Er lehrt Mut ohne Härte. Mut ist nicht Lautstärke; Mut ist Klarheit im richtigen Moment.
- Die Schlange sagt: „Hör zu.“ In ihrer Stille fällt Überflüssiges von allein. Wer zu schnell urteilt, quält sich doppelt.
- Der Adler sagt: „Steig höher.“ Er trennt Wichtiges von Lärm. Von oben ist vieles nicht mehr gegeneinander.
- Die Kolibris sagen: „Vergiss das Staunen nicht.“ Sie trinken Licht im Flug. Ohne sie wird Richtigkeit kalt.
Mit ihnen lerne ich die drei Blicke:
- Beuteblick spürt Gefahr und Bedürfnisse – nützlich, doch eng.
- Predatorblick sieht Möglichkeiten und Macht – scharf, doch verletzlich.
- Hüteblick hält die Mitte – verantwortlich, frei, gelassen. Er ist nicht neutral; er ist zuwendend. Er fragt: Was dient dem Ganzen – ohne ein Teil zu verraten?
4. 49:51 – Die kleine große Formel
Ich gebe gern 51 und behalte 49. Nicht als Opfer, sondern als Haltung. Wer so teilt, übt Unabhängigkeit vom Applaus und bleibt berührbar. Diese einfache Asymmetrie ist ein stilles Training für Würde.
5. Regen, Gewitter, Gnade
Der Regen trommelt auf mein Dach wie ein alter Freund. Er erklärt nichts und heilt doch. Im Gewitter lerne ich: Auch das Gewaltige hat Ordnung. Wer mitten im Donner ruhig atmet, hört, dass Angst und Ehrfurcht Geschwister sind. Frieden ist nicht Abwesenheit von Sturm. Frieden ist Tempo-Kompetenz: langsamer denken, tiefer hören – mitten im Wetter.
6. Das Zwiebel-Universum
Vielleicht besteht die Zeit aus Schichten, und jede Schicht zieht die nächste nach vorn, drückt die vorige sanft zurück. Vielleicht ist die dunkle Materie der Nachklang eines anderen Jetzt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Wer staunt, lebt weiter. Und wenn Unmögliches geschieht, sage ich: „Da nickte das Universum.“
7. Die Kunst des Leicht-Seins im Schweren
Schwere ist oft Unbekanntes in dicker Kleidung. Wird es verstanden, wird es leicht. Darum ordne ich so:
- Benennen – Was ist wirklich hier? (Löwe)
- Verlangsamen – Was sagt das Schweigen? (Schlange)
- Überblicken – Was dient dem Ganzen? (Adler)
- Erwärmen – Was braucht Herz? (Kolibris)
- Handeln – Klein, klar, jetzt. (Orchester)
Und immer wieder: ein Lachen, das nicht verspottet, sondern erlöst. Humor ist die sanfte Schere, die die letzte Fessel löst.
8. Symbiose statt Sieg
Ich glaube an Symbiose – nicht als Kompromiss, sondern als dritte Möglichkeit. Nicht „ich oder du“, sondern „wir – ohne Verlust an Eigenart“. Dualismus bleibt, aber feindet nicht. Gut und Böse werden Werkzeuge: Die Schatten zeigen die Richtung des Lichts; das Licht schützt davor, die Schatten zu verwechseln.
9. Das Flüstern des freien Willens
Freiheit heißt nicht: alles können. Freiheit heißt: bewusst wählen, wem ich gehorche. Ich gehorche dem, was wahr, gütig, maßvoll und mutig ist. Wenn ich unsicher bin, frage ich nicht: Was ist erlaubt? Ich frage: Was ist würdig? Würde ist der leise Hüter an der Tür der Taten.
10. Das Privileg
Leben ist kein Urteil – es ist ein Angebot. Ein Privileg, am großen Spiel teilzunehmen: zu staunen, zu trauern, zu lieben, zu lernen, zu irren und es besser zu versuchen. Wer das begreift, wird nicht wichtig – sondern zutiefst dankbar. Dankbarkeit ist das Öl der Seele: sie macht Bewegungen sanft, ohne die Richtung zu verlieren.
11. Werkstatt des Wortes
Ich schreibe nicht, um zu glänzen, sondern um Räume zu öffnen, in die andere eintreten können. Anonymität ist kein Versteck, sondern eine Einladung: Vergiss den Absender, finde dich selbst.
Worte sind nur Boote. Wenn sie gut gebaut sind, tragen sie über schwierige Gewässer – bis dahin, wo der Leser seine eigene Stimme hört.
12. Kleine Rituale
- Herz-Reset: „Da nickte das Universum.“ – einmal tief atmen.
- Weckruf: „Erinnere dich.“ – die Musiker stimmen sich ab.
- Wegewahl: „Hüteblick.“ – ich frage: Was dient und bleibt?
- Gnade: Lächle, bevor du urteilst.
- Maß: 49:51.
13. Wenn der Zweifel kommt
Ich zweifle oft. Gut so. Zweifel ist das schärfste Werkzeug der Ehrlichkeit, solange er mit der Zuversicht verwandt bleibt. Ich lasse ihn prüfen, doch nicht herrschen. Danach entscheide ich – lieber klein richtig als groß falsch.
Und wenn ich falle? Dann lande ich weich: auf Demut. Sie ist kein Kleinmachen, sondern Realismus mit Liebe.
14. Der letzte Blick vom Fels
Abends sitze ich wieder vor der Höhle. Der Löwe schläft. Die Schlange wärmt Stein. Der Adler zieht weite Kreise. Die Kolibris sind Lichtpunkte in der Dämmerung.
Ich denke an die, die müde sind, an die, die zu viel tragen, an die, die gerade aufgeben wollen. Ich schicke ihnen das Einfache: einen langsamen Atem, einen fairen Gedanken über sich selbst, einen ersten Schritt, der nicht beweisen muss, sondern beginnt.
Und irgendwo, wenn einer dieser Schritte gelingt, bewegt sich etwas Großes sehr leise – und nickt.
15. Versprechen
Ich verspreche nichts als Übung:
- Ich werde langsamer denken, wenn es laut wird.
- Ich werde die Mitte suchen, ohne die Ränder zu verachten.
- Ich werde lachen, wenn Angst klug sein will.
- Ich werde teilen, was mir geschenkt wurde: Richtung, Wärme, Worte.
- Ich werde mich erinnern.
Und wenn es wieder dunkel wird, werde ich sagen: „Da nickte das Universum.“ Nicht, weil ich sicher bin, sondern weil ich mitgehe.
So entsteht eine kleine Spur. Nicht die größte. Aber eine, die trägt.
Wenn du sie findest, geh mit.
Anonymer Ort • Keine Namen, nur Worte.